Der Geist Europas
Europa ist mehr als die Europäische Union und mehr als nur ein Kontinent auf der Landkarte. Die EU versucht verkrampft eine politische Einheit in Europa zu schaffen. Die zu ihr gehörenden Staaten sind souverän, haben sich aber vertraglich verpflichtet, enge Verbindung zu halten. Als „supranationale Institution“ praktiziert die EU sogar eine hoheitliche Gewalt für ihre Mitgliedstaaten, z.B. in Form von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Seit 2004 gibt es auch eine gesetzliche Grundlage für staatliches Handeln in einer Europäischen Verfassung. Das Streben nach einer gemeinsamen Identität in Europa wird immer stärker.
Was ist Europa?
Gibt es für Europa eine gemeinsame Identität? Haben sich wirklich gemeinsame Traditionen und Gefühle herauskristallisiert? Europa ist nicht einfach zu definieren. Geographisch gesehen ist es kein eigener Kontinent, denn die Landmasse ist mit Asien und dem Orient eng verbunden. Ähnlich ist es auch mit der Geschichte Europas – die Übergänge sind fließend in beide Richtungen. Griechenland, wo die Wiege Europas angenommen wird, war immer stark mit dem Orient verbunden. Man kann nicht genau sagen, welche Staaten dazugehören und welche nicht. Das sehen wir aktuell am Beispiel der Ukraine und an Moldawien. Beide Länder befinden sich in einer Zerreißprobe zwischen Europa und Russland. Auch stellt sich die Frage, ob die Türkei und Russland europäisch sind, oder nur Teile davon? Viele Fragen bleiben offen.
Der Kampf um die Identität Europas
Viel klarer wird die Frage nach der Identität, wenn wir den Terminus der „Geist Europas“ zulassen. Dazu gehören gleiche politische, kulturelle und soziale Wertvorstellungen, die in den europäischen Ländern vorhanden sind. Sie schaffen eine gewisse gemeinsame Identität.
Der engere geographische und politische Rahmen Europas wurde über viele Jahrhunderte durch den Hellenismus geprägt. Bis 100 v. Chr. hatte sich eine gemeinsame griechische Umgangssprache, das „Koine“ herausgebildet. Das Nebeneinander von keltischer, griechischer und römischer Kultur über viele Jahrhunderte, führte zu einer Verschmelzung im Europa der Antike. Das Denken und die Werte waren stark durch die Götterwelt der Griechen und deren Philosophien geprägt. Das römische Reich übernahm die Werte der Griechen und verband sie mit ihren Göttern und ihrer staatlich- rechtlichen Organisation. Ab dem 1. Jhdt. n. Chr. drang das frühe Christentum als neue geistige Kraft ein, das die Macht hatte alles Bisherige umzustürzen. Ein geistlicher Kampf begann, der durch das Toleranzedikt unter Kaiser Konstantin zu einer Wende führte. Das Christentum bekam die Macht im römischen Staat und wurde im 4. Jhdt. sogar zur Staatsreligion. Für das neue Europa war es ein Sieg, aber für den jungen christlichen Glauben eine Niederlage, denn der Hellenisierungsprozess des Christentums hatte den Höhepunkt erreicht. Der Geist der griechischen Antike war stärker, er hatte die Theologie, die Kirche und alle Gesellschaftsbereiche mit seiner Philosophie erobert. Auch die Schriftauslegung konnte die Überflutung durch philosophisches Gedankengut und durch mythische Interpretation nicht mehr aufhalten. Die Kirche war bereit für die Hochzeit mit der Welt.
Ab dem 2. Jahrhundert erreichte die Hellenisierung zunächst das Denken und die Theologie oberer Schichten. Dann kam sie auch zum allgemeinen Volk durch die Vermischung heidnischer Religiosität mit christlichen Gewohnheiten. Rituelle Handlungen, Magie und Zauberei standen im Mittelpunkt der Gottesdienste. In der Verehrung von Reliquien und Märtyrern als Heilige bahnte sich der alte griechische Heroenkult einen neuen Weg. Das Volk wollte viele verschiedene Götter haben. Unter Beibehaltung des äußeren christlichen Kleides fielen viele Christen ins Heidentum zurück. Auch war der Wechsel vom griechisch- römischen Götterglauben zum christlichen Glauben der Kirche nicht schwer und wurde wegen der gesellschaftlichen Akzeptanz sogar angeraten. Die Gebildeten fanden in der Kirche eine Religionsphilosophie wieder, die sie an ihr altes philosopisches Weltbild erinnerte. Auch die unteren Volksschichten fanden in der Kirche eine Religionswelt vor, die ihnen ähnliche Angebote machte, wie ihr voriger Götterglaube.(1)
Namhafte Kirchenväter des 2. und 3 Jhdt. schickten sich an die junge Kirche zu institutionalisieren, indem sie eine stabile Traditionslehre kreierten und die Autorität und Hierarchie der Kirchenämter festigten (Irenäus, Tertulian). Die römische Kirche, übernahm auch das römische Rechtsdenken und etablierte damit eine Kirchenordnung, die am römischen Staat angelehnt war (Hippolyt, Cyprian).(1)
Die Institutionalisierung und Verrechtlichung der Kirche beeinflusste nicht nur das äußere Leben der Kirche, sie prägte auch die gesamte religiöse Haltung der Menschen und bestimmte ihr Verhältnis zu Gott. Am Ende wurde dadurch ein religiöser Überbau geschaffen, der bis ins Mittelalter bestimmend sein sollte. Schon im 6. Jhdt. hatte sich diese Art von „Christentum“ auch über den ganzen Norden Europas verbreitet und bedeckte die Länder mit einer dunklen schweren Wolke. Die Antike ging zu Ende, das Christentum als neue Geisteshaltung prägte nun das Denken der Menschen. Götterkulte und Mysterienreligionen wurden nach und nach verboten. Im Jahr 529 wurde sogar die Platonische Akademie in Athen durch Justinian geschlossen und das erste Benediktinerkloster in Montecassino gegründet. Mit dem Beginn des Mittelalters im 6. Jhdt. gerieten die meisten Kulturgüter der Antike in Vergessenheit. Doch die Katholische Kirche konnte ihre Herrschaft entfalten und den Geist Europas bis ins 14. Jahrhundert bestimmen. Die Atmosphäre damals war von tiefer und erstarrter Religiosität bestimmt, die sich mit dem Volksaberglauben vermischte und die seltsamsten Wurzeln trieb. (2)
Ein Wiedererwachen in Europa
Gleichzeitig mit dem Beginn der Vorreformation im frühen 15. Jhdt. meldeten sich die totgeglaubten Götter und Philosophien der Antike zurück. Während das Licht des Evangeliums die Dunkelheit des finsteren Mittelalters durchbrechen konnte, begann ihre zweite Agitation. Im neuen Glanz hielten sie Einzug in Universitäten und Klöster. Zwar konnte der reformatorische Geist viele der Länder Europas erfassen und die Menschen aus der versklavenden Religiosität befreien, doch parallel dazu entstand nicht nur die Gegenreformation, sondern auch die Renaissance der Antike. Auch sie verbreitete sich über den größten Teil Europas und hatte den Anspruch den neuen Menschen zu kreieren. Zunächst rein literarisch, dann aber auch in einer konkreten Bildungsreform. Wie in den Philosphenschulen der Antike stand im Mittelpunkt die optimale Entfaltung menschlicher Fähigkeiten durch die Verbindung von Wissen und Tugend. Durch das ideale Menschtum sollte der religiöse Mensch des Mittelalters überwunden werden.
Doch weder Reformation noch Renaissance bewirkten die ersehnte Veränderung in Europa – Krieg und Zerstörung folgten und hinterliessen eine grausame Wirklichkeit, die nicht viel besser war als die des Mittelalters. Als ab dem 18. Jhdt. die Heiligungsbewe- gung nach Europa kam, gab es wieder neue Hoffnung. Die Sklaverei wurde abgeschafft, Krankenhäuser und Weisenheime enstanden, die tätige christliche Nächstenliebe, wie Jesus sie gepredigt hatte, hielt in vielen Ländern Einzug. In dieser Zeit erhielt natürlich auch die griechische Antike einen neuen Impuls, jetzt durch den Neuhumanismus, der hauptsächlich im Deutschsprachigen das höhere Bildungswesen prägte. Erneut wurde die Antike (humanitas) zum Ideal für den Menschen auserkoren. Humanistische Gymnasien und Jesuitenschulen entstanden, bei denen die christlich interpretierte Klassikerlektüre zur Standardbildung gehörte. In protestantischen Schulen wurde eine historisch- kritische Bibelauslegung gelehrt. Es kam zu einer Neuorientierung des Bildungswesens, die sich bis heute gehalten hat. Das Neue war die Verbindung von Menschenfreundlichkeit und Bildung. Sie sollte durch die Aneignung menschlicher Tugenden zur philosophischen Charakterbildung führen. Auch die europäischen Denker der Aufklärung beteiligten sich an der neuen Wiederbelebung der Antike und förderten mit ihren Beiträgen einmal mehr die Loslösung des Menschen von der Vorherrschaft Gottes. Der Neuhumanismus präsentierte sich als neue Menschheitsreligion. Begrifflichkeiten wie Menschlichkeit, Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenwürde, Menschenliebe wurden populär. Man wollte sie sogar in staatlichen Institutionen verankert sehen (siehe Wilhelm v. Humboldt).
Von Humanismus und Rationalismus gesteuert
Trotz der christlichen Erweckungsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert konnte sich der Geist der Antike durchsetzen und das gesellschaftliche Feld halten. Im kollektiven Gedächtnis Europas hatten sich die antiken Errungenschaften der Philosophie, Wissenschaft und der Demokratie fest verankert. Humanismus und Rationalismus wurden zur philosophischen Hauptströmung an den europäischen Universitäten und Schulen. Unterbrochen von zwei Weltkriegen hat sich der Einfluss in ganz Europa bleibend gehalten und wurde zum Inbegriff unseres heutigen Zeitgeistes. Es ist ein nachchristliches Zeitalter, in dem der Humanismus und der Rationalismus den Glauben an einen christlichen Gott überwunden hat. Noch nie hat sich der wahre Geist Europas deutlicher manifestiert als heute. Es ist nicht verwunderlich, daß sich die Mitgliedsländer der EU, auf der Suche nach einer gemeinsamen europäischen Identität, darauf geeinigt haben, wieder den alten Bezug zur Antike herzustellen. Als die neue EU- Verfassung 2004 verabschiedete wurde, waren sich alle einig, daß sich die angestrebte Einheit Europas auf dem Fundament der griechisch- römischen Antike gründen soll (3). Der christliche Gottesbezug und die Errungenschaften christlicher Kultur und Soziallehre wurden einfach geleugnet.
Der Mythos der Jungfrau Europa die von Zeus in der Gestalt eines weißen Stiers nach Kreta entführt wird zeigt klar die Identität Europas. Mit Zeus und den olympischen Göttern begann die griechische Antike vor 2000 Jahren. Was damals unscheinbar als minoische Kultur aus dem Liebesakt in Kreta hervorkam, erlebt jetzt seine größte Entfaltung im modernen Europa. Die schöne Namensgeberin stammt eigentlich aus dem Vorderen Orient, wo die viel älteren Hochkulturen von Babylon und Ägypten aufeinandertrafen. Aus ihrem Götterglauben kam die Schrift, Wissenschaft, Philosophie und Verwaltungsstruktur hervor, die zur Grundlage der griechischen Kultur wurde.
Die „vierte Welle“
Wir werden heute mit einer neuen Art von Humanismus konfrontiert. Es ist der 4. Humanismus, bei dem nicht mehr wie früher der Götterglaube, religiöse Elemente oder das Christentum beigemengt sind. Dieser neue Humanismus ist frei davon, er ist stattdessen durchdrungen mit rationalistischen, materialistischen und politischen Elementen. Seine stetige Entwicklung seit dem letzten Jahrhundert hat ein wachsendes religiöses Vakuum geschaffen, das früher oder später zu einer Implosion führen wird, weil der Druck von Außen steigt. Wieder ist es der Islam, der mit Macht in den leer gewordenen Raum eindringen will. Da der religiöse Gegenpol für den Ausgleich fehlt, ist das Kräfteverhältnis sehr ungleich. Das demokratisch- humanistische Staatsgefüge Europas ist viel zu schwach, um gegen den radikalen und agressiven Islam standhalten zu können. Wie die letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt haben, ist der Islam mehr als eine Religion, er ist eine Staatsideologie, ein politisches System, das die Weltherrschaft anstrebt, vergleichbar mit dem Kommunismus des letzten Jahrhunderts. Den wahren Christen bleibt wieder nur der eine Weg durch die Mitte, in die Beziehung zu ihrem Herrn, der das Unmögliche möglich machen kann und uns richtig vorbereiten wird auf das nahende Ende.
Quellen:
(1) „Macht ohne Auftrag“, S. 34-36, Walter Hernegger
(2) „Das Kreuz als Schwert“, S.61-103, Fred Wright
(3) „Deutschland und Europa“, Heft 52, 2006, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
(4) Wikipedia
Richard Schutty
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